🐾 Leinenführigkeit – mehr als nur eine lockere Leine
- sabinekaho
- 1. Nov. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 18 Stunden
Viele Hundehalter*innen wünschen sich entspannte Spaziergänge: Der Hund läuft locker an der Leine, zieht nicht, pöbelt nicht – einfach gemeinsam unterwegs sein. Doch die Realität sieht oft anders aus. Der Hund zieht nach vorne, bleibt bei jedem Grashalm stehen oder flippt völlig aus, sobald ein anderer Hund in Sicht ist.
Was vielen dabei nicht klar ist: Leinenführigkeit ist nicht einfach nur ein praktisches Kommando. Sie ist ein Spiegel der Beziehung – und beginnt lange bevor der Hund an der Leine zerrt, um andere Hunde anzuöbeln.
🧭 Wer führt eigentlich wen?
Leinenführigkeit bedeutet nicht, dass der Hund „bei Fuß“ marschieren muss. Es bedeutet, dass er bereit ist, sich an seinem Menschen zu orientieren – an dessen Tempo, Richtung und Körpersprache. Aber was braucht ein Hund dafür?
Er braucht einen Mensch, der vertrauensvoll führen kann, der Verantwortung übernimmt und Entscheidungen trifft - und das sowohl klar als auch liebevoll.
💬 Die Leine als Spiegel der Beziehung
Hunde spüren, wer führt – oder wer sich davor scheut. Scheuen wir uns davor oder haben wir selbst ein Thema damit "Nein" oder "Stopp" zu sagen, wird dennoch jemand für das Team Verantwortung übernehmen müssen. Tun wir es nicht, muss es unser Hund tun. Unsere Hunde sind jedoch häufig mit solch einer großen Aufgabe überfordert und treffen Entscheidungen, die vielleicht nicht in unserem Sinne sind. Aber jemand muss es ja tun!
Führung, wie ich es verstehe, hat dabei nichts mit einer krass autoritären Haltung oder Rudelführerprinzip zu tun, sondern: Klarheit, Verlässlichkeit und Respekt in beide Richtungen.
🚦 Was im Nahbereich nicht klappt, geht auch nicht auf Distanz
Wenn die Orientierung auf einen Meter Entfernung nicht klappt – wie soll es dann im Freilauf gehen? Leinenführigkeit ist das Fundament für Rückruf, jagdliches Verhalten, Hundebegegnungen und mehr. Ein Hund, der nicht gelernt hat, sich in deiner Nähe seines Menschen zu orientieren, wird es auf Entfernung erst recht nicht tun. Ein Mensch, der seinen Hund schon im Nahbereich nicht führen kann, wird es auch auf Entfernung nicht tun können.
🔄 Rituale geben Orientierung – auch an der Leine
Ein oft unterschätztes Element der Leinenführigkeit sind Rituale. Sie schaffen einen klaren Rahmen und geben sowohl dir als auch deinem Hund Sicherheit und Struktur.
Ein Ritual zu Beginn – also ein bewusst gesetzter Moment, der das gemeinsame Unterwegssein einleitet – wirkt wie ein mentaler Anker. Es ist ein kurzes Innehalten, ein Aufeinander-Einstimmen, bevor ihr gemeinsam startet. Vielleicht durch Blickkontakt, eine bestimmte Körperhaltung oder ein klares Wortsignal.
Ebenso wichtig ist ein Abschlussritual, das das Ende dieser fokussierten Phase markiert. Jetzt darf der Hund wieder schnüffeln, entspannen und in seinen eigenen Rhythmus finden.
Denn weder du noch dein Hund können dauerhaft zu 100 % konzentriert sein – und das ist auch gar nicht nötig. Rituale helfen, diese Grenzen klar zu definieren und sorgen so für Fairness im Training.
Das Schöne daran: Rituale müssen weder kompliziert noch lang sein. Wichtig ist nur, dass sie wiedererkennbar und für euch stimmig sind. Sie machen aus einem Spaziergang ein bewusstes Miteinander.
🎯 Fähigkeiten und Kompetenzen für die lockere Leine
Um das Gehen an lockerer leine überhaupt leisten zu können, braucht der Hund Kompetenzen.:
Impulskontrolle: Hat er gelernt, abzuwarten, statt jedem Reiz kopflos hinterherzurennen?
Frustrationstoleranz: Hat er gelernt damit umzugehen, wenn er etwas nicht bekommt?
Selbstregulation: Kann er sich bei Aufregung auch wieder runter-regulieren?

Ein Hund, dem diese wichtigen Fähigkeiten fehlen, wird es nicht schaffen, an lockerer Leine zu gehen und es auch in anderen Bereichen des Lebens schwer haben. Deshalb ist es unsere Aufgabe, unsere Hunde in diesen Kernkompetenzen zu schulen. Einerseits, um einen Hund zu haben, der an lockerer Leine gehen kann - andererseits aber auch, um einen Hund zu haben, der mit dem alltäglichen Leben gut zurecht kommt und nicht ständig unter Stress leidet. Diese Fähigkeiten müssen aufgebaut und geübt werden – wie Muskeln.
📈 Wie Leinenaggression entsteht – vom Welpen zum Pöbler
Ganz oft beginnt das Pöbeln früh. Der Welpe zieht an der Leine, fiept, will zum anderen Hund – und bekommt, was er will. Man toleriert es, weil’s noch süß ist.
Doch unsere Hunde werden älter. Interessen verändern sich und gerade in der Pubertät ist das Gehirn so und so wegen Umbau geschlossen. Auf Fähigkeiten, die der Hund vorher schon hatte - gerade was Selbstregulationsfähigkeiten betrifft - hat er aktuell kaum Zugriff. Das wiederum führt zu vermehrtem Frust.
Hinzu kommt, dass das sich aufregen, das Bellen und ausrasten selbstbelohnend wirkt. Aufgrund eines sich gut anfühlenden Hormoncocktails, der dabei ausgeschüttet wird, fühlt es sich toll an, zu pöbeln. Meist hat der Hund außerdem Erfolg dabei, wenn der andere geht weiter - er wurde erfolgreich verbellt. Mit diesem Cocktail kann die beste Leberwurst der Welt nicht mithalten.
🛠️ Für Leinenführigkeit gibt es keine Schnelllösung
Wenn der Hund draußen ausrastet, viel an der Leine zieht, sich nicht an seinem Menschen orientiert, gilt es genauer hinzuschauen und sich ein paar Fragen zu stellen, bevor man an eine der vielen Leinenführigkeitsmethoden denkt:
Hat dein Hund Stress? Übernimmt er unbemerkt viele Aufgaben im Alltag?
Wurde Leinenführigkeit kleinschrittig aufgebaut?
Kennt dein Hund ruhige Begegnungen?
Wurden Ablenkungen langsam gesteigert?
Wurde auf Körpersprache geachtet?
Hat dein Hund überhaupt die nötigen Fähigkeiten?
Leinenführigkeit ist Beziehungsarbeit – keine Dressur.
🐾 Fazit: Leinenführigkeit beginnt nicht an der Leine
Sie beginnt bei deiner Bereitschaft, zu führen. Nicht hart, nicht autoritär – sondern klar, fair und mit einem echten Interesse am eigenen Hund und seiner Persönlichkeit.
Und wenn du das verinnerlichst, dann wird die Leine nicht mehr als Störfaktor empfunden, sondern als das, was sie sein sollte: Ein Kommunikationsmittel zwischen zwei Lebewesen, die sich aufeinander verlassen können.